Herzschrittmacher-Handy

Die Bürger in den frühen Siedlungen des Wilden Westens trugen meistens einen Colt. Manchmal zwei. Aus guten Gründen. Bzw. aus schlechten. Diejenigen von ihnen, die damals in die Kirche gingen, mussten in vielen Gemeinden vor dem Gottesdienst ihre Colts in eine Wanne oder einen Korb der Frau Pastor legen. Die Colts könnten ja im Gottesdienst losgehen...aus Versehen. Oder dem Gegenteil davon. Von zwei toten Predigern weiß die texanische Kirchengeschichte. Solche Wannen und Körbe wünsche ich mir heutzutage für Handys. Denn die Schilder an Vortrag- und Konzertsälen, „Bitte Handys aus" sind den Weg aller Bitt-, Gebots- und Verbotsschilder gegangen: Sie nützen nichts mehr, wenn sie lange genug verbieten. Meine Toleranz hat ein Ende gegenüber nur einem bestimmten Typ von Handy-Nutzern. Dieser häufig gerade in ruhefordernden Veranstaltungen sitzende Typ hat uns jetzt die Vorlesung eines Nobelpreisträgers im vorösterlichen Budapest vermasselt. Der Nobelpreisträger dachte wirklich nobel und - selten genug-sprach auch so. Aber mindestens zehnmal klingelte es bei der Rede des älteren Herrn des BBC-Symphonieorchesters. Es klingelte trotz lauter Bitte durch Lautsprecher immer noch in meiner Umgebung sechs Mal. Meine Intoleranz richtet sich nur gegen den Typ, der sich verwechselt - mit einem Patienten mit Herzschrittmacher. Der hat sein Gerät auch nicht nur immer bei sich. Sondern auch immer an. Diese jeweils angerufenen Handy-Besitzer greifen erschreckt, aber nicht immer zielsicher zu ihrer Waffe, mit der sie die laufende Kommunikation ermorden - zugunsten irgendeiner unbekannten draußen. Ein Vortrag, eine Veranstaltung mit Ärzten lasse ich noch gelten. Da klingelts eben immer, weil die Ärzte in Vorträgen, Gottesdiensten, Konzerten und Theateraufführungen offenbar alle Notärzte sind. Und Höheres geht Vorträgen, Musik, Bibellesen natürlich selbstklingelnd vor. Aber ich fürchte - es wird mit den Handys wie mit den Colts im Wilden Westen: Demnächst haben auch die letzten von uns nicht ein, sondern zwei Handys. Nur keine Wannen und Körbe. Die werde ich vor meinem Hörsaal jetzt aufstellen lassen. Und dies gleich Frau Sieg durchgeben. Per Handy ist sie immer zu erreichen. Auch jetzt in der Sitzung.

8. April 2003